No Place like Home / Nessun posto come casa
Italienische Fotografie seit den 1980er Jahren
Eine Ausstellung des IKS Photo Düsseldorf, der Kunsthalle Darmstadt, dem SCHAUWERK Sindelfingen und der Draiflessen Collection Mettingen, kuratiert von Ralph Goertz.
Institutionen
Kunsthalle Darmstadt: 28.09.2025 – 11.01.2026
SCHAUWERK Sindelfingen: 01.02. – 26.07.2026
Draiflessen Collection: Frühjahr 2027
Via Aristotele, 1979 © Gabriele Basilico
Erstmals in Deutschland erkunden vier Institutionen gemeinsam mit der Ausstellung No Place like Home die Einflüsse italienischer Fotografie seit den 1980er Jahren auf die Entwicklung der europäischen Fotogeschichte. Gezeigt werden bis zu 340 Arbeiten von rund 40 Fotograf*innen, die sich einerseits aus der Arte Povera und dem Neorealismus und andererseits im Kontext der amerikanischen New Color Bewegung und der deutschen Fotografie – wie sie von Otto Steinert an der Folkwangschule in Essen und Bernd und Hilla Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie unterrichtet wurde – herausgebildet haben.
Unter den präsentierten Serien befinden sich Vintage Abzüge und selten gezeigte Originalabzüge aus den frühen 1980er Jahren, darunter Werke von Guido Guidi (*1941), Gabriele Basilico (1944 - 2013), Luigi Ghirri (1943 - 1992) und Marina Ballo Charmet (*1952).
Marina Ravenna 1986 © Luigi Ghirri
Das Spektrum der ausgestellten Arbeiten umfasst zahlreiche Porträts, konzeptionelle und serielle Arbeiten, sozial, politisch und gesellschaftlich verortete Aufnahmen und Landschaftsfotografien, die einen besonderen Stellenwert in der italienischen Kunst einnehmen. Insbesondere die sogenannte „Fotografie der Orte“, die sich in den frühen 1980er Jahren in Italien etablierte, richtet ihren Bick auf eine kollektive Identität mit deren Hilfe die Autor*innen selbstbewusst ihren Anspruch auf künstlerische Autonomie formulierten.
In den frühen 1990er Jahren führte die wirtschaftliche Entwicklung des fortgeschrittenen Kapitalismus und die ersten Auswirkungen der Globalisierung dazu, dass sich Fotograf*innen wie Marina Ballo Charmet, Paola De Pietri, William Guerrieri oder Paola Di Bello für urbane Räume, den Identitätsverlust von Orten und soziale Fragen interessierten.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends schufen verschiedene Krisen einen Nährboden für neue fotografische Ansätze und künstlerische Strategien. Soziale Ungerechtigkeiten im Land, Forderungen nach Gleichberechtigung der Geschlechter oder Fragen der Migration schufen einen neuen kulturellen Rahmen und brachten eine neue Generation von Fotograf*innen hervor: Marcello Galvani, Francesco Neri, Luca Nostri, Allegra Martin oder Cesare Fabbri – allesamt Studierende von Guido Guidi. Sie verstanden sich als Vertreter einer langen künstlerischen Tradition und wandten sich dem urbanen Raum in der Provinz zu.
Castagnole, 1986 © Guido Guidi
Eine weitere Gruppe von Fotograf*innen entwickelte eine neue Erzählmethode, die formal an die Reportagefotografie der 1970er Jahre anknüpfte. In den gesellschafts- und sozialkritischen Arbeiten von Michela Palermo, Nicola Lo Calzo, Giulia Iacolutti, Davide Degano, Michele Borzoni oder Simone Donati wird auch die künstlerische Verwandtschaft zu den Vertreter*innen der Folkwangschule wie Joachim Brohm, Wendelin Bottländer oder Petra Wittmar sichtbar. Andrea Botto, Maurizio Montagna oder Alessandro Ruzzier bedienen sich realer oder konstruierter Momente, aus denen sie ihre Arbeiten entwickelten – in Anlehnung an Vorbilder der Postmoderne, aber auch der „objektiven Fotografie“ der Kunstakademie Düsseldorf und ihren Vertreter*innen wie Thomas Ruff, Thomas Struth, Candida Höfer und Axel Hütte.
KA-BOOM #17_Rapallo 2009 © Andrea Botto
In der jungen italienischen Fotografie wird deutlich, dass Fotograf*innen wie Francesca Iovene, Carmen Colombo, Alessandra, Dragoni, Matteo Di Giovanni, Tomaso Clavarino, Giulia Agostini, Federico Clavarino oder Iacopo Pasqui sich in ihren Bilduntersuchungen nicht mehr auf den öffentlichen Raum als Ort kollektiver Identität fokussieren, sondern einen freieren Umgang mit Erzählstrukturen rund um die Themen Individualität, Community und Diversität propagieren. In den oft biografisch geprägten Serien vernachlässigen sie die erzählerische Abfolge von Bildern zugunsten einer Aneinanderreihung einzelner figurativer Elemente, die mit symbolischen Werten ihrer Generation aufgeladen sind. Dabei setzen sie sich kritisch mit dem Begriff von Heimat und der eigenen Herkunft auseinander.
Libera Poesia, 2023 © Alessandra Dragoni
No Place like Home präsentiert in einer ersten großen Überblicksausstellung die Entwicklung des Mediums Fotografie seit den 1980er Jahren in Italien und zeigt, wie das aus dem Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit hervorgegangene Italien eine eigene glaubwürdige fotografische Repräsentation gefunden hat. In dieser Vielschichtigkeit weist die italienische Fotografie eindeutige Parallelen zur Entwicklung der Fotografie seit den 1980er Jahren in Europa auf und darf sich selbstbewusst in das Panorama der Fotografie als autonome Kunstform einordnen.
In der Poesie des Alltags erfassen die teilnehmenden Künstler*innen soziale wie gesellschaftliche Verflechtungen, entlarven und reflektieren die imperiale Vergangenheit ihres Heimatlandes und hinterfragen kritisch das Medium der Fotografie: mal traditionell, mal konzeptionell, immer berührend und fernab der Klischees von „Dolce Vita“ und „Bella Italia“.
I don't care (about football), 2023 © Giulia Iacolutti
Die Ausstellung No Place like Home wird von Ralph Goertz, Leiter des IKS Photo Düsseldorf, kuratiert und in Zusammenarbeit mit den Partnerinstitutionen jeweils neu und individuell zusammengestellt.
Der reich bebilderte Katalog zur Ausstellung erscheint im Verlag der Buchhandlungen Walther und Franz König, mit einem gemeinsamen Vorwort von Leòn Krempel, Svenja Frank, Corinna Otto, Ralph Goertz und Texten von Nicoletta Leonardi und Ralph Goertz.
Teilnehmende Fotograf*innen
Giulia Agostini, Marina Ballo Charmet, Fabio Barile, Gabriele Basilico, Michele Borzoni, Andrea Botto, Michele Buda, Michele Cera, Federico Clavarino, Tomaso Clavarino, Carmen Colombo, Mario Cresci, Paola De Pietri, Davide Degano, Paola Di Bello, Matteo Di Giovanni, Simone Donati, Alessandra Dragoni, Cesare Fabbri, Marcello Galvani, Luigi Ghirri, William Guerrieri, Guido Guidi, Giulia Iacolutti, Francesca Iovene, Armin Linke, Nicola Lo Calzo, Sara Lorusso, Rachele Maistrello, Allegra Martin, Marco Marzocchi, Sofia Masini, Maurizio Montagna, Francesco Neri, Walter Niedermayr, Luca Nostri, Michela Palermo, Sara Palmieri, Iacopo Pasqui, Piero Percoco und Alessandro Ruzzier.